Die lang verstaubte Rechtsform der Genossenschaft erlebt in Zeiten vieler Umbrüche mit ihrer Betonung der Solidarität gerade eine Renaissance. Ihr Ahnherr, der Westwälder Bürgermeister Friedrich Wilhelm Raiffeisen, hat an diesem Sontag seinen 130. Todestag – und am 30. März steht sein 200. Geburtstag an.
Raiffeisen kam 1818 in Hamm an der Sieg als siebtes von neun Kindern zur Welt, im selben Jahr wie Karl Marx. Für Gymnasium und Uni fehlt das Geld – stattdessen wird Raiffeisen nach acht Jahren Militärdienst nacheinander Bürgermeister in Weyerbusch, Flammersfeld und Heddersdorf (heute Neuwied).
In dieser Zeit gründet der Sozialreformer den „Weyerbuscher Brodverein“ zur Verteilung von Lebensmitteln, den „Flammersfelder Hülfsverein zur Unterstützung unbemittelter Landwirte“ mit Krediten für Bauern und den „Heddesdorfer Wohltätigkeitsverein“. Seine „Darlehenskassenvereine“ gelten bereits als die ersten Genossenschaften.
Stets geht es um Solidarität und Hilfe zur Selbsthilfe. Raiffeisens Motto lautet: „Was einer allein nicht schafft, das schaffen viele.“ Auch in Sachsen und England gibt es seinerzeit ähnliche Initiativen. Es ist eine Idee, die sich bis in die heutige Zeit halten wird.
„Viele Organisationen verlieren heute Mitglieder, aber bei Genossenschaften zeigt der Trend klar nach oben“, sagt der Vorsitzende der deutschen Friedrich-Wilhelm-Raiffeisen-Gesellschaft, Werner Böhnke. „Mehr als 22 Millionen Menschen in Deutschland sind Mitglied einer Genossenschaft. Die Spanne reicht von A bis Z, von Apotheker- bis zur Zweiradgenossenschaft.“
Mit etwa 30 Millionen Kunden und mehr als 18 Millionen Mitgliedern bilden heute laut Raiffeisen-Gesellschaft die Genossenschaftsbanken die größte genossenschaftliche Gruppe in Deutschland. Es gibt rund 1.000 Volksbanken und Raiffeisenbanken mit etwa 12.000 Filialen. Aber auch Wohnungs-, Energie- und Breitbandgenossenschaften haben eine große Bedeutung.
Das Ziel von Genossenschaften ist der langfristige Nutzen für die Mitglieder. Im Vergleich zu anderen Unternehmensformen sind Genossenschaften leichter zu gründen. Jedes Mitglied beteiligt sich mit Anteilen, die das Eigenkapital des Unternehmens bilden. Unabhängig von der Höhe dieser Einlage hat jedes Mitglied eine Stimme und damit ein Mitspracherecht bei allen Entscheidungen.
„Das führt dazu, dass der Vorstand sich um jedes Mitglied kümmern muss und sich nicht wie zum Beispiel bei Aktiengesellschaften häufig auf Großaktionäre konzentriert“, erklärt Böhnke. „Die breite Einbindung verlangsamt bisweilen die Entscheidungen, aber sie ist ein Garant für sorgfältige Ergebnisse, die von allen mitgetragen werden.“
Genossenschaften gelten als grundsolide und bodenständig. Die Mitglieder befinden sich meist unter Gleichgesinnten – Idealismus und Solidarität statt egoistischer Zockermentalität. Böhnke betont auch: „Genossenschaften stehen unter der fachkundigen Begleitung und Prüfung durch die Genossenschaftsverbände. So blicken wir auf stabile Unternehmen, bei denen es nahezu keine Insolvenzen gibt.“
2017 hat es die Genossenschaftsidee als erste Eintragung Deutschlands in die UNESCO-Liste des Immateriellen Kulturerbes geschafft.